- griechische Spiele und Orakelstätten
- griechische Spiele und OrakelstättenGriechenland war kein einheitliches politisches Gebilde, aber das hinderte die Griechen nicht daran, sich, wenn Not am Mann war, kurzfristig und auch nicht immer gegen einen gemeinsamen militärischen Feind zusammenzuschließen und sich auf der kulturellen Ebene ohnehin als Einheit zu empfinden. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl fand einen doppelten organisatorischen Ausdruck, nämlich in den großen Orakelstätten und in den gesamtgriechischen sportlichen Festspielen.Die OrakelAllen Völkern sind Orakel und Weissagungen gemeinsam. Der Wille der Götter soll im privaten und öffentlichen Leben erforscht werden, nicht nur durch schlichtes Vorhersagen der Zukunft, sondern auch zur Lebensdeutung oder überhaupt zur Erlangung von Kenntnissen über Unbekanntes. Der göttliche Wille wurde in Griechenland erforscht durch dazu besonders befähigte Personen, also durch Seher und Seherinnen, und an bestimmten heiligen Stätten, also an Heiligtümern von Gottheiten. Der Götterspruch konnte auf die unterschiedlichste Weise erkannt werden, durch Beschauen der Eingeweide eines geopferten Tieres, durch Beobachtung des Vogelflugs, durch Traumdeutung, durch Versetzen in Trance, durch das Deuten von Geräuschen. Die durch die jeweilige Priesterschaft in Form — oft in Verse — gebrachte Aussage war oft so ambivalent und vieldeutig, dass sie selber gedeutet werden musste, und der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese mehrdeutigen Formulierungen von der Priesterschaft genau deshalb mit Bedacht gewählt wurden, um sich sozusagen keinen Beschwerden auszusetzen, und seit der Sophistik, der griechischen Aufklärung, ist immer wieder auch von Griechen selbst entsprechende Kritik bis hin zu Spott geübt worden. Trotzdem bestanden die Orakel bis zum Sieg des Christentums, müssen also einerseits auch durchaus brauchbare Auskünfte erteilt haben und kamen andererseits einem religiösen Bedürfnis entgegen.Griechenland war voll von Orakelstätten, es gab berühmte und weniger berühmte, lokale und überregionale. Wir können hier nur eine ganz kleine Auswahl treffen. Das berühmteste und eben auch anscheinend zuverlässigste Orakel war das von Delphi. Delphi war ein Heiligtum des Apollon, der, zusammen mit den neun Musen, mit dem benachbarten Bergmassiv des Parnassos und der dort entspringenden Kastaliaquelle in Verbindung gebracht wurde. Das mit einer Temenosmauer versehene Heiligtum steigt steil an, der heilige Weg führt serpentinenartig zum Apollontempel und ist von Schatzhäusern gesäumt, in denen Griechenstädte ihre Weihgeschenke untergebracht hatten. Der Tempel, umstanden von weiteren Denkmälern, war 548/547 v. Chr. abgebrannt und unter anderem mithilfe des athenischen Alkmaionidengeschlechts und des ägyptischen Königs Amasis wieder aufgebaut worden; 373/372 brannte er noch einmal ab, wurde aber ebenfalls wieder errichtet. Oberhalb des Tempels befindet sich — noch im heiligen Bezirk — das Theater (heutiger Bauzustand vorwiegend aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.) und noch weiter oben, aber außerhalb der Temenosmauer, das Stadion, das über einer älteren Anlage erst von dem reichen Athener Herodes Atticus im 2. Jahrhundert n. Chr. in der heutigen Form ausgebaut wurde.Der Gott, also Apollon, wurde von einer Priesterin mit dem Titel Pythia befragt. Deren Titel und der Name der in Delphi stattfindenden Spiele beziehen sich auf den Drachen Python, der das Orakel seiner Mutter, der Erdmutter Gaia, bewacht hatte; Apollon übernahm das Orakel, nachdem er dem Mythos nach den Drachen erschlagen und damit den Sieg über den chthonischen Kult errungen hatte. Pythia versetzte sich, über einem dampfenden Erdspalt in einem unzugänglichen Raum im Inneren des Tempels auf einem Dreifuß sitzend, in Trance, und die Antworten, die sie auf die Fragen der Bittsteller von Apollon erhielt, verkündeten dann die räumlich von ihr getrennten Priester. Heute noch nennen wir undeutliche Aussagen »pythisch« oder »delphisch«, da besonders Delphis Orakelsprüche sehr genau betrachtet und ausgedeutet werden mussten, wie das folgende Beispiel zeigt: Der lydische König Krösus werde, wenn er gegen die Perser kämpfe, »ein großes Reich zerstören«, worauf er den Kampf wagte, und das Orakel hatte auch Recht, nur war das Reich sein eigenes, das im Jahre 547 v. Chr. dadurch unterging. Wir sehen, dass sogar Ausländer wie Krösus oder Amasis Delphi hoch ehrten und bei ihm anfragten, aber vor allem war es ein Heiligtum, in dem die griechische kulturelle Gemeinsamkeit ihren Ausdruck fand. Die Schatzhäuser stammten aus der ganzen griechischen Welt, auch Massalia hatte eines, und der Wagenlenker, der heute im Museum von Delphi steht, ist wahrscheinlich ein Weihgeschenk des Polyzalos aus dem sizilischen Tyrannengeschlecht der Deinomeniden. Die gesamtgriechische Rolle Delphis zeigte sich vor allem während der griechischen Kolonisation. Je mehr Anfragen es von ängstlichen Kolonisten über die Welt jenseits des Meeres gab, umso mehr Kenntnisse akkumulierten sich bei der delphischen Priesterschaft, die offenbar auch eine Art Erfolgskontrolle betrieb, und umso zuverlässiger wurden die Aussagen. Ebenso gemeingriechisch waren dann die alle vier Jahre in Delphi stattfindenden Festspiele, die Pythien, auf die wir später noch zu sprechen kommen.Aus Zentralgriechenland heraus führt uns der Weg zu dem nach Delphi zweitberühmtesten innergriechischen Orakel, Dodona in Epirus. Es war eine uralte vorgriechische Orakelstätte, ursprünglich der Erdmutter Gaia oder der Erdgöttin Dione, in historischer Zeit vor allem eine des Göttervaters Zeus. Ihre Attraktivität war so groß, dass bis in die römische Kaiserzeit ständig dort an Tempeln, Theatern und anderen Bauten gearbeitet wurde. Die Stimme des Zeus, die von den Priestern gedeutet wurde, offenbarte sich im Rauschen der heiligen Eiche; in der Berliner Antikensammlung steht eine kleine Bronzestatuette des blitzschleudernden Zeus aus Dodona.Am anderen Rand der zusammenhängend griechisch besiedelten Welt lag Didyma, an der kleinasiatischen Küste südlich von Milet. Es war ein Apollonheiligtum, dessen Priestertum in dem Geschlecht der Branchiden erblich war. Es hatte einen riesigen Tempel, der zwar nach dem Ionischen Aufstand von den Persern zerstört, aber wieder aufgebaut wurde, und es existierte ebenfalls bis in die christliche Zeit als hochberühmte und prächtig ausgeschmückte Orakelstätte.Von der Anlage einer solchen wallfahrtsähnlichen Orakelstätte kann man sich durch einen Besuch des Asklepiosheiligtums in Epidauros auf der Peloponnes am leichtesten einen Begriff machen. Allerdings entstammen die erhaltenen Hauptbauten, so der Asklepiostempel, das Abaton (Liege- und Schlafhalle zur Inkubation) und die Tholos (Rundbau, Ringhalle), die unmittelbar zum Kult gehörte, dem 4. Jahrhundert v. Chr. Das Heiligtum des Heilgottes Asklepios gehört insofern hierher, als es ein Traumorakel darstellte. Die Träume, die die Besucher dort in eigens dafür hergerichteten abgeschlossenen Räumen träumten, hatten auch Orakelfunktion. Ihnen wurde jedoch vor allem Heilwirkung zugeschrieben, und diese Funktion überlagerte die des Orakels: Epidauros wurde eine Art großen Kurzentrums, und wie es in derartigen Zentren immer üblich war und ist, sorgte man durch zahlreiche sonstige Einrichtungen für Unterhaltung, so auch durch ein Theater, das heute das besterhaltene griechische Theater ist.Die panhellenischen Spiele und der SportIn Epidauros wurde die Orakelfunktion von der Heilwirkung des Asklepioskultes überschattet, und einem anderen der vielen sonstigen Orakelstätten ist es auf andere Weise ähnlich ergangen, nämlich dem Zeusorakel in Olympia. Olympia, in der Landschaft Elis auf der Peloponnes gelegen, wurde erst weltberühmt durch die panhellenischen Wettspiele. Diese Olympischen Spiele waren in der griechischen Antike die bedeutendsten und sind deshalb im 19. Jahrhundert zum Vorbild für erneuerte Spiele geworden.Der antiken Tradition nach wurden die Spiele in Olympia im Jahre 776 v. Chr. begründet; andere Daten sind in der wissenschaftlichen Diskussion. Die Spiele fanden alle vier Jahre statt (penteterisch, fünfjährig, nannten sie die Griechen, weil sie die Jahre mit den Spielen mitrechneten) und wurden von der Stadt Elis ausgerichtet, zeitweise machte das benachbarte Pisa das den Eleern streitig. Elis stellte die Kampfrichter, die zehn Hellanodiken (»Griechenrichter«), die die Aufsicht über die Wettkämpfe führten und die Preise, das waren Kränze aus Ölbaumzweigen, verliehen. Die erste Disziplin war ein Wettlauf über das Längenmaß eines Stadions, das als Olympisches Stadion — nach Verlegung der Laufstrecke seit etwa 350 v. Chr. — 192 m betrug; das Längenmaß bezeichnete dann auch die sportliche Wettkampfstätte; Sieger war, wer jeweils zuerst ankam, es gab ja keine Stoppuhren, und zudem gab es nur einen Sieger, keine weiteren Plätze. Im Laufe der Zeit kamen weitere Disziplinen hinzu, so Ringkampf, Boxen, Wagenrennen, Pankration (eine Art Freistilkampf), Diskuswerfen, Weitsprung, Speerwerfen, Wettreiten, Waffenlauf. Es gab auch besondere Wettbewerbe für Knaben, sogar einen Wettlauf nur für Frauen, die Heraia (der Göttin Hera zu Ehren), und auch an den Wagenrennen konnten Frauen teilnehmen — das war aber nur deshalb möglich, weil den Preis nicht die Wagenlenker bekamen, sondern die Eigentümer der Gespanne. Bei Beginn der jeweiligen Wettbewerbe mussten die Teilnehmer schwören, sich an die Regeln zu halten, und bei einer Zuwiderhandlung wurden sie mit hohen Strafsummen belegt, von denen dann Zeusstatuen errichtet wurden. Verheiratete Frauen durften nicht zuschauen.Das Gelände des Heiligtums erstreckte sich vom Südwestfuß des Kronoshügels bis zum Fluss Alpheios und der Mündung des Kladeos; der heilige Bezirk hieß Altis; das Stadion und das Hippodrom, die Bahn für Pferde- und Wagenrennen, schlossen sich im Nordosten an. Der Mittelpunkt der Altis war der dorische Zeustempel, der 457 v. Chr. geweiht wurde, dessen bedeutender Skulpturenschmuck im Museum in Olympia zu sehen ist, während das Kultbild des Zeus, das zu den sieben Weltwundern zählte, verloren ist. Es war über 12 m hoch und stammte von dem Athener Phidias, der auch die Athenestatue im Parthenon in Athen verfertigt hat; seine Werkstatt ist westlich des Zeustempels gefunden worden. Nördlich des Zeustempels befindet sich der ältere archaische Heratempel, zwischen beiden der große Altar, auf dem als kultischer Höhepunkt der Spiele das Zeusopfer dargebracht wurde. Weiter gab es Wandelhallen, Gästehäuser und natürlich Gymnasien und Palästren, in denen die von überallher angereisten Athleten lange vor Beginn der Spiele üben mussten. Für die Spiele wurde der olympische Friede verkündet, der allerdings nicht einen allgemeinen Friedenszustand bedeutete, sondern nur den Teilnehmern die Sicherheit der An- und Abreise sowie die Ungestörtheit des Spielablaufs garantieren sollte. Die Olympischen Spiele konnten sich bis in das 5. Jahrhundert n. Chr. halten.Im Prestige gleich nach den Olympien (nicht Olympiaden; eine Olympiade ist der zeitliche Zwischenraum zwischen den Spielen) kamen die Isthmien. Sie fanden im Poseidonheiligtum am Saronischen Golf östlich von Korinth statt, waren wohl im 7. Jahrhundert v. Chr. von der Tyrannendynastie der Kypseliden begründet worden und wurden von Korinth ausgerichtet. Sie fanden alle zwei Jahre statt; es gab weniger sportliche Wettbewerbe als in Olympia, dafür aber auch musische Wettkämpfe — es war eben ein »Kampf der Wagen und Gesänge«, wie es in Schillers Ballade von den »Kranichen des Ibykus« heißt. Bei einer solchen musischen Vorstellung konnten sich beziehungsreiche Situationen ergeben, wie ein von Plutarch berichteter Vorgang aus dem Leben des hellenistischen Feldherrn Philopoimen zeigt. Als Preis wurde ein Fichtenzweig aus »Poseidons Fichtenhain« (Schiller) oder ein Eppichblatt verliehen, wobei gesagt werden muss, dass Eppich ein vornehmeres Wort für Sellerie ist.Die Pythien in Delphi — der Ehrenpreis war Lorbeer — waren wieder vierjährig, und auch bei ihnen gab es musische Wettbewerbe. Sie fanden nicht im heiligen Bezirk statt, sondern unten an der Küste bei dem heutigen Itea. Ausgegraben sind die Sportstätten nicht, denn über ihnen liegen heute riesige Ölbaumhaine.Die bescheidensten panhellenischen Spiele waren die Nemeen im Zeusheiligtum der kleinen ostpeloponnesischen Stadt Nemea. Sie wurden 537 v. Chr. begründet und seit 460 v. Chr. von Argos ausgerichtet; der Siegespreis war ein Eppichkranz. Ausgrabungen in Nemea haben ein fast intim wirkendes Stadion zutage gefördert, und zusammen mit dem in der Nähe stehenden Zeustempel stellt die Anlage ein schönes Beispiel dafür dar, dass Griechenland und die griechische Kultur nicht nur aus prunkvollen und berühmten Großeinrichtungen bestand, sondern bis in kleine Landstädte hinein reichte.Das berühmteste der Feste, die nicht zur Vierzahl der panhellenischen Spiele gehörten und bei denen es wertvolle Sachpreise gab, sind die Panathenäen in Athen. Sie fanden als Lokalfest jährlich zum Geburtstag der Göttin Athene im August, als Große Panathenäen alle vier Jahre statt. Hier stand die religiöse Zeremonie deutlich im Vordergrund; die Wettbewerbe hatten dadurch ein besonderes Ansehen, weil als Preise die großen, wundervoll bemalten und mit Öl oder Wein gefüllten Preisamphoren verliehen wurden. Die vier panhellenischen Spiele aber stellten die kulturelle Einheit der Griechen aller Welt eindrucksvoll dar, auch deshalb, weil zu ihnen nur Griechen zugelassen waren; erst in der Mitte der hellenistischen Zeit durften auch Römer teilnehmen.Die Spiele waren demgemäß das, was man heute einen Ort informeller Kommunikation nennen könnte, sie dienten aber auch durchaus offiziellen Zwecken. Cicero hatte sich in einer schwierigen Situation nach der Ermordung Caesars die Teilnahme als Zuschauer in Olympia als eine probate Ausrede einfallen lassen, um Rom, ohne politisch Verdacht zu erregen, verlassen zu können, und Kaiser Nero glaubte, durch massenhafte fingierte Olympiasiege zu Hause Eindruck zu machen. Anlässlich der Isthmien berieten die Griechen in den Perserkriegen ihre gemeinsame Verteidigung, Philipp II. von Makedonien gründete dort seinen Korinthischen Bund, und der Römer Flamininus verkündete auf ihnen 197 v. Chr. Griechenlands Freiheit: Viel Publikum hatte er da, und viele, die das politische Kalkül dabei nicht durchschauten, waren begeistert.In der Zeit des Hellenismus nahmen sportliche und musische Agone weiter zu, zumal da jetzt auch der griechisch gewordene Vordere Orient hinzukam, und damit ist der Punkt gekommen, das bisherige sehr ideale Bild vom griechischen Sport durch realistischere Sachverhalte zu ergänzen. Wenn bei den panhellenischen Spielen gesagt wurde, dass die Siegespreise lediglich aus Kränzen bestanden, so ist das nur die eine Seite. Mit dem Sieg war zunächst einmal sehr großer Ruhm verbunden; Olympionike, Isthmionike, Pythionike, Nemeonike zu sein oder gar Periodonike, also jemand, der an allen vier Spielen gesiegt hat, war ein sehr hohes Ziel; und da der Sport nicht wie heute nur einen — wenn auch großen — Teil der Bevölkerung interessierte, sondern zum gesamten griechischen öffentlichen Leben gehörte, war das schon weit mehr als eine bloße sportliche Ehrung. Man bedenke, dass die Gedichte der beiden großen Dichter Pindar und Bakchylides zum größten Teil Preislieder auf Sieger in panhellenischen Spielen sind. Darüber hinaus hatte ein Sieg aber auch eine sehr materielle Seite.Der Ruhm des Siegers kam nämlich nicht nur ihm zugute, sondern auch seiner Stadt. Die Städte waren so stolz auf ihre Sieger, dass sie sie mit Geld- und Sachpreisen überschütteten, denen gegenüber die panathenäischen Preisamphoren samt Inhalt eher Kleingeld waren. Es waren also durchaus auch materielle Aussichten, die Sportler dazu bewogen, bei Spielen anzutreten und, auch mithilfe berufsmäßiger Trainer und mit wissenschaftlich erprobter Diät, Siege zu erstreben. Man kann das Berufssportlertum nennen, wobei zu beachten ist, dass das nicht erst im Hellenismus aufgekommen ist, sondern etwa in Gestalt des Theagenes von Thasos mit angeblich weit über tausend Boxsiegen schon im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. vorkam.In der archaischen Zeit dürfte der Sport eher eine Beschäftigung des Adels gewesen sein: In der »Odyssee« (Buch 8) wird Odysseus als angeblich einfacher Mann von den jungen Herren am Phäakenhofe verspottet, als es zu einer Sportvorführung kommen sollte, die er dann allerdings bravourös für sich entschied. Es ist aber auch zu erschließen, denn wer außer den Wohlhabenden konnte es sich leisten, teure Sportarten wie Pferdesport zu betreiben oder unter Vernachlässigung der Pflichten des Broterwerbs viel Zeit, Geld und Mühe auf das Trainieren zu verwenden? Um die Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert setzt aber etwas ein, was Demokratisierung des Sports genannt worden ist. Die Städte hatten das Adelsregiment abgeschafft, aber teilweise die adligen Werte übernommen, so die aristokratische Sportgesinnung, die jetzt aber von allen in Anspruch genommen wurde. Daher wurden auf Staatskosten in Gestalt der Palästren und Gymnasien Anlagen geschaffen, in denen sich auch Nichtadlige üben und der Stadt Prestige einbringen konnten. Wenn man früher gemeint hat, der Wettbewerbssinn sei eine spezifisch griechische Eigenschaft, den man nach dem Wort Agon für Wettkampf das Agonale nannte, so muss heute gesagt werden, dass dieses Bestreben, innerhalb der Gemeinschaft sich den anderen gegenüber hervorzutun, und das auch im Sport, eher sozial zu erklären ist. Es ist ein Charakteristikum einer jeden Adelsgesellschaft und hat sich in Griechenland mit anderen adligen Werten auch auf die unteren Schichten übertragen.Der Ursprung des Sports ist nicht geklärt, jedoch spielen religiöse Gesichtspunkte gewiss eine Rolle. Insbesondere der Stadionlauf scheint religiösen Ursprungs zu sein. So ist es wohl kein Zufall, dass er die erste bezeugte Sportart in Olympia ist und dass der Lauf die einzige Disziplin ist, in der innerhalb des Herakultes Frauen sich in Olympia beteiligen konnten. Auch die kleinen Mädchen, die in Brauron im Artemisheiligtum für ihr späteres Leben vorbereitet wurden, absolvierten innerhalb dieser Erziehung Wettläufe. Im Übrigen war nichtöffentlicher Frauensport verbreiteter, als man bisher glaubte; Vasendarstellungen bieten schöne Beipiele dafür. Ein anderer Herkunftsort für die Entstehung der verschiedenen sportlichen Disziplinen ist der Totenkult. Bei einer feierlichen Bestattung der Frühzeit wurden sportliche Wettkämpfe veranstaltet, und ein klassisches Beispiel dafür sind die Kämpfe, die im 23. Buch der »Ilias« für den gefallenen Helden Patroklos veranstaltet wurden. Aus deren Schilderung geht hervor, dass das, was wir heute Unfairness nennen würden und was die Griechen mit einem billigenden Unterton List nannten, durchaus vorkam und nicht mit einem absoluten Unwerturteil belegt wurde, und ebenfalls kann man dort lesen, dass nicht um Oliven- oder sonstige pflanzliche Kränze gelaufen, mit dem Diskus geworfen oder mit dem Viergespann um die Wette gefahren wurde, sondern dass dort sehr handgreifliche Preise winkten, etwa kunstvolle Bronzegefäße oder gar schöne Sklavinnen.Prof. Dr. jur. Wolfgang SchullerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:griechische Städte und StaatenGrundlegende Informationen finden Sie unter:griechische Geschichte beginnt mit HomerBengtson, Hermann: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit. München 81994.dtv-Geschichte der Antike, herausgegeben von Oswyn Murray. 7 Bände. Aus dem Englischen. München 1-51988-96.Gschnitzer, Fritz: Griechische Sozialgeschichte. Von der mykenischen bis zum Ausgang der klassischen Zeit. Wiesbaden 1981.Inscriptiones antiquae orae septentrionalis Ponti Euxini Graecae et Latinae, herausgegeben von Basilius Latyschev. 3 Bände. Petersburg 21885-1916. Nachdruck Hildesheim 1965.Knell, Heiner: Mythos und Polis. Bildprogramme griechischer Bauskulptur. Darmstadt 1990.Pausanias: Reisen in Griechenland. Auf Grund der kommentierten Übersetzung von Ernst Meyer herausgegeben von Felix Eckstein. 3 Bände. Neuausgabe Zürich u. a. 1986-89.
Universal-Lexikon. 2012.